Die USA, die Biointelligenz und der Maschinenbau

Von Dr. Manfred Wittenstein und Nathalie Wagner

Reisenotizen: Auf unserer Delegationsreise nach Boston haben wir uns mit Start-ups und Inkubatoren ausgetauscht, erhielten Einblicke in das Start-up-Ökosystem und gewannen Erkenntnisse über den Stand biointelligenter Produktionstechnologie für den Anlagen- und Maschinenbau.

Auf der Suche nach Biointelligenzanwendungen für den Maschinen- und Anlagenbau in den USA kommt man wie in Deutschland sehr schnell zu zwei Erkenntnissen. Zum einen sind die meisten Anwendung noch nicht im Sinne der Biointelligenz (Biologie + (Produktions-)Technik + Informationstechnologie) verknüpft, sondern bewegen sich meistens in zwei der drei Disziplinen. So findet man einiges an Biotechnologie, intelligenter Produktionstechnologie oder auch Bionik. Richtig intelligente Biotechnologie ist aber noch kaum zu sehen.

Zum anderen bewegen sich vorrangig Forschungs- und Produktionsbereiche dort, wo Biotechnologie kein Fremdwort ist: In der Medizintechnik, in der Pharmazie, in der Nahrungsmittelbranche. Nicht weiter verwunderlich, denn ein Heilmittel gegen Krebs ist ein jahrelanger Hoffnungsträger, der Welthunger weiterhin ein Problem und die eigenständige und leicht beschaffbare Pharmazie spätestens seit Corona jeder Nation ein eigenes Anliegen.

Für den Maschinen- und Anlagenbau bedeutet dies vorrangig erstmal keine große Veränderung. Denn ob nun das eine oder das andere abgefüllt, zehn oder vier Millimeter einer Flüssigkeit entnommen oder Flüssigkeitskapseln statt Harttabletten geformt werden, ist in den verschiedenen Sektoren keine der größeren Herausforderungen.

Quelle: Lisa Vidal

Worin liegen also die Erkenntnisse, die der Produktionstechnik im Maschinen- und Anlagenbau von dieser Reise mitgegeben werden können? Wagen wir eine Aufzählung:

  • Auch wenn noch nicht verknüpft, so existiert in den USA eine anwendungsorientierte Forschung. Besonders bei schwer greifbaren Themen wie der Biointelligenz, deren breite Anwendungsmöglichkeiten wir heute noch nicht erfassen können, werden so direkte Anknüpfungspunkte geschaffen, die sich zwar nicht leicht, aber leichter in die Praxis integrieren lassen. Derart wird ein besserer Diskurs zwischen Forschung und Anwendung geschaffen; Kommunikation fällt leicht, Forschende werden Start-up-Gründer und komplexe Themen halten nach und nach Einzug in die Praxis.
  • Apropos Start-ups: Gerade junge Gründer haben es oft schwer ihre Ideen mit den eigenen Mitteln nicht nur umzusetzen, sondern auch publik zu machen. In Boston sind wir auf mindestens drei sogenannte Shared Labs gestoßen. Unternehmen, die Start-ups gegen eine Gebühr einen eigenen Laborplatz zur Verfügung stellen, in dem sie nicht nur ihre Arbeit umsetzen, sondern auch die Gelegenheit bekommen, mit dem eigenen oder anderen, bereits etablierten Unternehmen in Kontakt zu treten – entweder, um hier Erfahrung und Kunden zu gewinnen oder auch, um ihre Idee zu verkaufen. Kooperieren und sich nicht vor neuen Ideen zu verschließen, sie sogar für sich zu nutzen, ist etwas, das auch in Deutschland geht.
  • Auch wenn viele dieser Shared Labs oder auch Inkubatoren (manche möchten sich nicht so nennen) eine Gebühr für den Platz erheben, haben andere wie Ginkgo Bioworks bereits eine weiteren Nutzen für sich erkannt: Denn wo Ideen fließen, können diese gesammelt, eingepflegt und wieder umgedacht werden. Am Ende entsteht eine Datenbank, aus der sich neue Erkenntnisse und weitere Ideen generieren lassen.
  • Doch was tun mit all den Daten? Falsche Auswertung aufgrund von nicht zusammenhängenden Korrelationen haben wir bei IBM kennengelernt. Deshalb genau hinterfragen, was wie zustande kommt. Und außerdem: Die neuen Systeme nicht belächeln und sich nicht damit beschäftigen. KI ist nicht nur auf dem Vormarsch, und so nicht nur auf dem Weg durch Bildbearbeitung unsere Realität zu täuschen, sondern kann bereits eigene Higlightclips aus einem Tennisturnier zusammenschneiden und kommentieren. Die logisch erkannten Zusammenhänge der KI kann in der Produktion dabei nicht nur zur schnelleren Identifizierung von Problemen führen, sondern auch Lösungen und Optimierungen vorschlagen. Auch beim Erfindergeist gibt es Fortschritte. Dabei gilt: Der wahrscheinlichste Weg gewinnt bei der KI. Wenn jedoch immer der wahrscheinlich beste Weg vorgeschlagen wird, so bleibt fraglich, inwieweit man den eigenen gehen kann, inwieweit Entrepreneure hervortreten. Um Kreativität nicht zu verlieren, ist auch hier eine angemessene Dosis Skepsis nie verkehrt.
  • Werden die intelligenten Systeme jedoch akzeptiert, so können sie auch viel Arbeit abnehmen. So sind die hundeartigen Bioniksysteme von Boston Dynamics in der Lage, eigenständig die Produktion zu überwachen, indem sie durch das Gelände laufen und Daten an einen Operateur senden.
    Quelle: Mika Baumeister

    Ebenso können sie Zählerstände ablesen und kleine Gegenstände transportieren. In größerer Ausführung ist es anderen Geräte möglich, ganze Container zu be- und entladen. Teilweise unterstützen entsprechende Bionikanwendungen in den USA heute schon die Polizei, um Gelände bei Geiselnahmen zu untersuchen. Die nächsten Stopps für Boston Dynamics? Die schrittweise Annäherung in den Alltag eines jeden, über Zwischenschritte in das Hotelgewerbe bis in die Pflege. Dabei jedoch stets als Unterstützung des Menschen, nie, um diesen zu ersetzen. Die Welt von morgen? Sie ist schneller da, als wir denken.

  • Während in Deutschland einige Begriffe der Biotechnologie bereits einen negativen Beigeschmack haben, so sind dieselben Begriffe in den USA fast diskussionslos akzeptiert, so z. B. im Bereich der Gentechnik, im Nahrungsmittelbereich besonders beim sogenannten Cultivated Meat. Wie uns beim TUCCA-Programm der TUFTS University berichtet wurde, stehen die meisten Amerikaner der Gentechnik in Nahrungsmitteln nicht kritisch gegenüber, da sie mit dieser bereits im Alltag vertraut sind. Die Zulassung in den Staaten hat dementsprechend nicht lange gedauert. Anders sehen wir dies in Europa. Neuerungen in der Produktionstechnik können demnach auch durch eine beschränkte Zulassung an Technologien erfolgen. Technologieoffenheit bleibt demnach ein Credo der Innovation.

Neben den hier aufgezählten Punkten gibt es noch weitere in der biointelligenten Szene der USA, die hier bislang noch nicht erwähnt wurden. So verfolgt Boston als Region die Zielsetzung eines biotechnologischen Hubs. In Eintracht mit Region, Anbietern und Unternehmen konnte dieses Konzept sich gut etablieren. Inwieweit dies in Deutschland jedoch umzusetzen ist, ist fraglich. Boston hat z. B. Flächen überlassen, die für Bürogebäude bebaut werden konnten. Ost- und Westküste stehen aufgrund der merklichen Distanz nicht in Konkurrenz. Deutschland mit seinen dichten Bebauungen und der vergleichsweise sehr geringen Landesfläche hat kaum Bundesländer, die nicht in Konkurrenz um Wirtschaftsstandorte stehen.

Ähnlich steht es mit den hohen Förderquoten für Start-ups in den USA. So etabliert das von uns besuchte Bayer Co. Lab ein Shared Lab in Berlin, jedoch zu geringeren Mietpreisen, um sich den dort vorherrschenden Förderungen anzupassen.

Zusammenfassend lässt sich jedoch sagen, dass insbesondere die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien und die Praxisorientierung der USA einen entscheidenden Vorteil nicht nur für Anbieter, sondern auch den Kreis der Abnehmer bieten. Auch wenn die Technologien vielleicht noch nicht biointelligent im eigentliche Sinne sind, so bestehen bereits heute über Informationssysteme und Anwendungen der Bionik Möglichkeiten, Produktionstechnologien besser zu überwachen, Probleme schneller zu beheben und Fehlerquellen zu vermeiden. Zugleich bieten die gleichen Technologien Möglichkeiten, die eigenen Maschinen und Anlagen präziser und funktionaler zu machen. Gleichzeitig lassen sich über Datenauswertungen und die Einführung neuer Anwendungen beispielsweise im Bereich Nahrungsmittel neue Kundengruppen erschließen und deren Ansprache perfektionieren.

Wo wir in Deutschland im Vergleich zu den USA und anderen Ländern in Bezug auf die Entwicklung und Anwendung biointelligenter Technologien stehen, erfahren Sie in der Untersuchung InBenBio. Die »Internationale Benchmark Biointelligenz« erscheint in Kürze. Bleiben Sie dran, wir berichten.

Nathalie Wagner

VDMA Referentin für Verfahrenstechnische Maschinen und Apparate, Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungsmaschinen
E-Mail: nathalie.wagner@vdma.org

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