Mikroalgen: Eine Zelle – tausend Anwendungen

Mikroalgen sind faszinierende Organismen: Die vor allem im Wasser lebenden Einzeller betreiben Photosynthese wie die Pflanzen auf dem Land. Für ihre Kultivierung wird neben Licht auch CO2 benötigt. Besonders interessant: Sie produzieren daraus – je nach Wachstumsbedingungen – eine Vielzahl wertvoller Inhaltsstoffe. Das alles macht sie zu einem idealen biologischen Rohstoff für zahlreiche Anwendungen – von der Lebensmittelindustrie bis zur Raumfahrt. Im Blog zeigen wir, wie ihr Potenzial mithilfe biointelligenter Kultivierungssysteme genutzt werden kann.

Wir wollen Mikroalgen auch Ihnen nahebringen und stellen das Forschungsgebiet des Teams um Dr. Ulrike Schmid-Staiger am Fraunhofer IGB in einer ganzen Reihe von Beiträgen vor. In dieser ersten Folge beginne ich mit einem generellen Überblick. Bei Mikroalgen handelt es sich um eine Gruppe von Organsimen, die durch gemeinsame Eigenschaften verbunden sind: Vereinfacht gesagt können zu den Mikroalgen alle einzelligen Mikroorganismen, die zur Photosynthese befähigt sind, gezählt werden. Damit zählen sowohl eukaryotische Einzeller (z. B. Kieselalgen) als auch die prokaryotischen Einzeller wie Cyanobakterien zu den Mikroalgen.

Evolutionär gesehen sind Mikroalgen sehr erfolgreich. Die einfache Lebensform existiert schon seit Ewigkeiten und hat im Falle der Cyanobakterien sogar dazu beigetragen, dass wir einen so hohen Sauerstoffgehalt in unserer Atmosphäre haben. Auch heute sind Mikroalgen maßgeblich an der Bildung von Sauerstoff beteiligt: Rund die Hälfte der jährlich gebildeten Sauerstoffmenge geht auf ihr Konto.

Heutzutage sind Mikroalgen in vielen Habitaten zu finden.Jeder hat schon mal Bekanntschaft mit ihnen gemacht, zum Beispiel als störender Biofilm an der Wand des heimischen Aquariums oder als Mitschwimmer im örtlichen Badesee. Sie sind dabei jedoch nicht nur auf aquatische Lebensräume beschränkt, sondern wachsen auch im feuchten Boden oder −besonders nervig − an der (nördlichen) Fassade von Häusern. In Symbiose mit Pilzen sind sie als Flechten sogar an sehr trockenen Standorten wie Wüsten zu finden.

Wie eingangs erwähnt, sind alle Mikroalgen in der Lage Photosynthese zu betreiben. Das heißt, dass sie (Sonnen-)Licht nutzen, um Kohlenstoff aus CO2 zu binden und die Energie des Lichts in Form von Zuckern zu speichern. Dies hat Auswirkungen auf die Kultivierung von Mikroalgen im Labor, da man das Licht irgendwie zu den Zellen bringen muss. Am besten auch noch einigermaßen gleichmäßigverteilt, sodass nicht eine Zelle »gegrillt« wird, während die andere gar nichts abbekommt. Zum Glück gibt es Kollegen,die auch für solche Probleme Lösungen parat haben. Aber der Reihe nach.

Mikroalgen-Kultivierung in Photobioreaktoren

Mikroalgen werden entweder in offenen oder geschlossenen Systemen kultiviert. Bei den offenen Systemen handelt es sich entweder um flache Wasserflächen, die bestenfalls noch auf die ein oder andere Weise durchmischt werden. Meistens liefert die Sonne das benötige Licht. Diese Art der Kultivierung ist vergleichsweise günstig und deshalb recht verbreitet. Sie hat aber auch einige Nachteile. Zum einen ist die Durchmischung meist nur schwach und die Verteilung des Lichts somit alles andere als ideal. Außerdem kommt es aufgrund der großen Oberfläche zur Verdunstung und man läuft ständig Gefahr, sich eine Kontamination mit anderen Algenarten einzufangen, welche die zu züchtende Wunschalge verdrängt.

Diese Probleme kann man umgehen, indem man Mikroalgen in geschlossenen Systemen kultiviert. Solche Geräte firmieren dann unter dem Namen »Photobioreaktoren«. »Photo« von Licht und »Bio«, weil darin etwas Biologisches vor sich geht und »Reaktor« bezeichnet einfach nur ein abgeschlossenes Reaktionsgefäß. Es hat also nichts mit Kernenergie zu tun.

Photobioreaktoren lassen sich nochmals in zwei große Gruppen einteilen. Zum einen Röhrenreaktoren: Man stelle sich eine lange Glasröhre vor, in welcher die Mikroalgenkultur im Kreis gepumpt wird. Zum anderen Flachplatten-Reaktoren: Hier befindet sich die Mikroalgenkultur zwischen zwei durchsichtigen Platten. Ein wichtiger Vorteil der Reaktorsysteme: In einem geschlossenen Photobioreaktor kann ich die Bedingungen, unter denen die Kultur wächst, sehr gut kontrollieren. Das gilt sowohl für die Temperatur, die Lichtmenge, als auch für die Nährstoffe, welche die Kultur bekommt.

Mit biointelligenten Kreislaufsystemen wertvolle Rohstoffe gewinnen

Mit der Mikroalgentechnologie erschließen wir eine völlig neue Rohstoffquelle. Die Algen haben Landpflanzen gegenüber einige Vorteile. So können sie in Meerwasser gezüchtet werden, von dem mehr als genug auf der Erde vorhanden ist. In geschlossenen Photobioreaktoren wird auch bei der Kultivierung in Frischwasser weniger Wasser benötigt als bei Landpflanzen. Des Weiteren ist es möglich,verschiedene Nebenströme aus anderen Prozessen zu verwerten. Zum Beispiel CO2, das bei industriellen Verbrennungsprozessen oder in Biogasanlagen entsteht, oder Wasser mit gelösten Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor, das ebenfalls in Biogasanlagen oder bei der Schlammfaulung auf Kläranlagen anfällt.

Mikroalgen selbst produzieren eine ganze Reihe interessanter Inhaltsstoffe. So können die Zellen zur Hälfte aus Proteinen bestehen, die für die Ernährung von Mensch und Tier geeignet sind. Die Nutzung von Algenproteinen als nachhaltige Alternative zu tierischen Proteinen untersuchen wir – neben anderen Proteinquellen – aktuell im Fraunhofer Leitprojekt FutureProteins. Auf weitere Inhaltsstoffe wie Pigmente, Fette und Glucane mit interessanten, funktionellen Eigenschaften werden wir in späteren Blog-Beiträgen genauer eingehen.

Mikroalgen können aber auch zur Produktion von Sauerstoff genutzt werden, was zum Beispiel in der Raumfahrt von Interesse sein könnte. Auch wenn ich persönlich dieses Thema sehr interessant finde, hat sich bisher allerdings noch niemand dazu bereit erklärt, mir ein Projekt in diese Richtung zu finanzieren. Aber vielleicht bekomme ich ja noch einmal die richtige Durchwahl bei der ESA (European Space Agency) zugesteckt …

Unser Ziel: Maßgeschneiderte Rohstoffproduktion dank biointelligenter Steuerung

Diese erste Übersicht möchte ich aber damit abschließen, warum ich persönlich die Arbeit mit Mikroalgen so spannend finde: Das hat mit der Tatsache zu tun, dass die Zusammensetzung der Mikroalgen-Biomasse durch die Kultivierungsbedingungen beeinflusst wird. Damit meine ich zum Beispiel die Menge an Licht oder Nährstoffen, die der Kultur zur Verfügung steht. Wie oben bereits erwähnt, können diese Bedingungen in geschlossenen Systemen bestens kontrolliert werden. Dies führt dazu, dass man gewünschte Stoffe in der Biomasse akkumulieren kann, indem man passende Prozesse entwickelt. Genau daran arbeiten wir am Fraunhofer IGB. Da die Kultivierungsbedingungen schon heute elektronisch über ein biointelligentes Steuerungselement eingestellt werden, bietet es beste Voraussetzungen, um die Prozesse zu automatisieren oder − um in die Zukunft abzuschweifen − mit einer Art von künstlicher Intelligenz auszustatten.

In weiteren Blog-Beiträgen werden wir näher auf einzelne Aspekte der Mikroalgenkultivierung und -nutzung eingehen. Für Rückfragen stehe ich aber schon heute gerne zur Verfügung. Zögern Sie nicht, mich zu kontaktieren – vor allem dann nicht, wenn Sie bei der ESA arbeiten …

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