Nicht nur Fluch, auch Segen: Mit biointelligenten Viren schützen und heilen

Seit zwei Jahren hält ein Virus die Welt in Atem – doch nicht alle Viren sind wie das Coronavirus gefährlich für den Menschen. Mit der richtigen Technologie kann die Wissenschaft sie sogar für den Menschen nutzbar machen. Wie das möglich ist, erklärt Prof. Dr. Susanne Bailer, Leiterin des Innovationsfelds Virus-basierte Technologien am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in ihrem Vortrag »Nicht nur Fluch, auch Segen: Mit biointelligenten Viren schützen und heilen« am 19. Mai 2022.

Viren haben gemeinhin kein gutes Image – wir verbinden sie stets mit Erkrankungen. Dementsprechend konzentrierte sich die medizinische Forschung darauf, natürlich vorkommende, pathogene Viren zu bekämpfen. Doch mehr oder weniger gleichzeitig hat sich mit der Entwicklung von Totimpfstoffen auch eine Forschungsrichtung aufgetan, die darauf abzielt, ausgewählte Viren unschädlich und für medizinische bzw. präventive Zwecke nutzbar zu machen.

Noch einen Schritt weiter gehen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer IGB in Stuttgart, die daran arbeiten, Viren als programmierbare Informationsträger einzusetzen. Daran forschen die Biologin Prof. Dr. Susanne Bailer und ihr Team im Innovationsfeld Virus-basierte Technologien des Instituts. Das Ziel ist die Umwandlung von »bösartigen« in »gute« therapeutische Viren. Diese zählen zu den sogenannten Advanced Therapeutical Medicinal Products, kurz ATMPs, und werden in vielfältiger Weise für die Zell- und Gentherapie eingesetzt.

Der Ansatz versteht Viren als biologische Festplatte und die im viralen Genom enthaltenen Informationen sind sozusagen der Bauplan des Erregers. Die Bioingenieure des IGB können diesen Speicher im Labor »überschreiben«, um die Viren mit gewünschten Eigenschaften und Fähigkeiten auszustatten. Mehr noch: Neue Funktionen können sogar maßgeschneidert und präzise eingebaut werden. In der Fachsprache spricht man hier von »Virus Engineering«. Die Erfahrung zeigt, dass derart veränderte Viren hervorragende biotechnologische Werkzeuge sind: Als sogenannte Vektoren können sie Zellgrenzen überwinden und Informationen übermitteln – und so bei der Therapie von Krankheiten helfen.

Ein Beispiel ist die am IGB entwickelte neuartige virale Engineering-Plattform auf Basis des Herpes-simplex-Virus 1 (HSV1). Da dieses Virus Nervenzellen infizieren kann, haben die Fraunhofer-Forschenden es zunächst unschädlich gemacht, indem die hierfür benötigten Gene gezielt ausgeschaltet wurden. Im nächsten Schritt folgte die Umprogrammierung zu einem onkolytischen Virus – also einem Virus, das gezielt Tumorzellen infiziert und zerstört. Erste Therapieerfolge lassen hoffen, dass derart modifizierte Viren in Zukunft vielfach in der Krebstherapie eingesetzt werden können und möglicherweise sogar als personalisierte Impfung gegen auftretenden Krebs wirken kann.

In ihrem Vortrag in der Württembergischen Landesbibliothek am 19. Mai 2022 ab 18 Uhr gibt Prof. Dr. Susanne Bailer Einblicke in die Welt der therapeutischen Viren. Die promovierte Biologin kam 2012 von der Ludwig‑Maximilians‑Universität München ans Fraunhofer IGB und war dort zunächst Gruppenleiterin »Infektionsbiologie und Arraytechnologie«. Seit 2019 leitet sie am Institut das Innovationsfeld »Virus‑basierte Technologien«.

Link zur Veranstaltung: https://www.wlb-stuttgart.blog/mit-biointelligenten-viren-schuetzen-und-heilen/

Parallel lehrt sie an der Universität Stuttgart am Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie IGVP. Die habilitierte Privatdozentin wurde 2017 zur außerplanmäßigen Professorin der Universität Stuttgart berufen. Dort erforscht sie grundlegende Mechanismen der Infektionsbiologie von Herpesviren. Die hier gewonnenen Erkenntnisse schaffen einen nahtlosen Übergang zur anwendungsorientierten Forschung am IGB, der Entwicklung innovativer Virus‑basierter Therapien und Technologien sowie von Technologien zur Diagnostik von Infektionserregern.

Kommentar schreiben