Ein Bakterium für die biointelligente Energie- und Rohstoffwende

Ein Bakterium namens Rhodospirillum rubrum (R. rubrum) ist ein richtiger Alleskönner in Sachen Klimaschutz: Im neu entwickelten Verfahren der »Dunkel-Photosynthese« kann das Bakterium gleichzeitig grünen Wasserstoff und biogenes CO2 als Grundstoff für negative Emissionen bereitstellen. Und eröffnet dabei neue Perspektiven für eine biointelligente Energie- und Rohstoffwende.

Die Besonderheit der Dunkel-Photosynthese gab dem Verfahren seinen Namen: Es ist kein Licht nötig und dennoch kann das Bakterium Wasserstoff in einem Umfang herstellen, wie es sonst nur von photosynthetischen Stoffwechselvorgängen, also bei Licht, bekannt ist. Möglich ist dies durch die Entdeckung eines Teams von Forschenden um Prof. Dr. Robin Ghosh und Dr. Caroline Autenrieth von der Universität Stuttgart: »Füttert« man das Bakterium mit Fruktose, so reagiert das Bakterium genauso wie bei Lichteinfall – und produziert auch in völliger Dunkelheit Wasserstoff. Das Geniale: Fruktose ist Fruchtzucker und in vielen biologischen Rest- und Abfallstoffen enthalten. Die Dunkel-Photosynthese ermöglicht also ein »Upcycling« von Abfallstoffen zu grünem Wasserstoff.

Die Dunkel-Photosynthese auf einen Blick

Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht die Dunkel-Photosynthese. Auf der linken Seite sind mögliche Reststoffe für die Wasserstoffproduktion aufgeführt. Sie können beispielsweise aus der Milchindustrie, der Fruchtsaftherstellung oder dem Lebensmittelhandel stammen. Auch Biomüll aus der Biotonne und Gärreste aus Biogasanlagen können das Bakterium in Wasserstoff umwandeln. Die Rest- und Abfallstoffe gehen entweder direkt oder nach einer Zwischenstufe der Aufarbeitung in den Bioreaktor ein. Ein Sonderfall ist ein gezüchtetes Kulturmedium, das aus Fruktose, Bernsteinsäure und anderen Inhaltstoffen eigens für die Dunkel-Photosynthese hergestellt wird. Im Bioreaktor treffen Abfallstoffe und das Bakterium R. rubrum zusammen. Dort findet dann unter Luftzufuhr die Dunkel-Photosynthese statt. Die Stoffwechselvorgänge von R. rubrum bringen dabei neben Wasserstoff unter anderem Kohlendioxid und hochwertige Produkte wie Terpenoide und Carotinoide für die Lebensmittel-, Pharma- und Chemieindustrie hervor.

Lichtunabhängigkeit ermöglicht Skalierbarkeit

Die Lichtunabhängigkeit der Dunkel-Photosynthese beseitigt eine wesentliche Barriere, die bei anderen, lichtabhängigen Biowasserstoffverfahren einer großtechnischen Umsetzung im Weg steht: Bei der Hochskalierung lichtabhängiger Prozesse ist ab einer gewissen Bioreaktorgröße eine ausreichende Durchleuchtung des Substrats nicht mehr möglich und die Wasserstoffausbeute sinkt. Die Entwicklung lichtdurchlässiger Bioreaktoren ist daher Gegenstand intensiver Forschung und bisher starker Kostentreiber. Bei der Dunkel-Photosynthese rechnen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hingegen aufgrund der Lichtunabhängigkeit nicht mit einem Einbruch der Wasserstoffproduktion bei steigendem Reaktorvolumen. Auch kann für die Dunkel-Photosynthese auf marktgängige Edelstahlbehälter als Bioreaktoren zurückgegriffen werden. Sie haben sich vielfach bei anderen Dunkelprozessen in der Biotechnologie, etwa in Biogasanlagen, bewährt und sind kostengünstiger als lichtdurchlässige Alternativen.

Hoher Ertrag durch Biomassedichte

R. rubrum atmet Sauerstoff. Solche aeroben Prozesse zeichnen sich durch ein starkes Biomassewachstum aus, das das Wachstum anaerober Prozesse übersteigt. Das Bakterium vermehrt sich stark. Durch den wiederholten Eintrag von Nährstoffen in den Bioreaktor – also der Prozessausgestaltung als sogenanntes Fed-Batch-Verfahren – kann dieses starke Biomassewachstum gegenüber Batch-Verfahren noch weiter gesteigert werden. Dadurch entsteht eine sehr hohe Biomassekonzentration im Bioreaktor – eine sogenannte Hochzelldichte. Forscherinnen und Forscher der Hochschule Biberach um Prof. Dr. Hartmut Grammel haben dieses Verfahren für die Dunkel-Photosynthese entwickelt. In Vorversuchen konnte durch das Fed-Batch-Verfahren die Biomassekonzentration stark gesteigert werden. Diese hohe Biomassedichte bedingt die, auf das Substratvolumen bezogene, sehr hohe prognostizierte Wasserstoffausbeute.

Alleskönner drückt Anlagenkosten

Die Dunkel-Photosynthese läuft in drei verschiedenen Phasen ab. R. rubrum ist ein richtiger Alleskönner und übernimmt jede dieser Phasen der Wasserstoffproduktion. Sie können daher im gleichen Bioreaktor stattfinden. Zudem »arbeitet« R. rubrum bei einer Temperatur von 25 bis 30 °C. Diese milde Temperatur biologischer Abbauprozesse bedingen den niedrigen Energiebedarf der Dunkel-Photosynthese. Diese beiden Charakteristika vereinfachen die Prozessführung und wirken sich positiv auf die Anlagen- und Betriebskosten aus.

Negative Emissionen für den Klimaschutz

Als Nebenprodukt der Dunkel-Photosynthese entsteht Kohlendioxid. Was zunächst als Nachteil erscheint – schließlich ist Kohlendioxid als häufigstes Treibhausgas hauptverantwortlich für den Klimawandel – entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als großer Vorteil. Warum? Das Kohlendioxid, das bei der Dunkel-Photosynthese entsteht, stammt aus Pflanzen – etwa Früchten oder Gras, das Kühe gefressen und wieder ausgeschieden haben. Dieses Kohlendioxid ist, im Gegensatz zu CO2 fossilen Ursprungs, biogenes CO2. Entweicht biogenes Kohlendioxid in die Atmosphäre, ist dies CO2-neutral und schließt lediglich den Kohlenstoffkreislauf. Bezogen auf den Biomasseumsatz ist die Dunkel-Photosynthese also CO2-neutral. Verhindert man nun die Emission dieses biogenen Kohlendioxids durch die Kombination mit CCS-Technologien, speichert man also das biogene Kohlendioxid langfristig, so kehrt sich die CO2-Bilanz des Gesamtprozesses im Idealfall ins Negative. Negative Emissionen entstehen. Der Atmosphäre wird aktiv CO2 entzogen. Die Dunkel-Photosynthese liefert große Mengen CO2 in hoch konzentrierter Form und eignet sich dementsprechend sehr gut für die Bereitstellung negativer Emissionen. Negative Emissionen werden inzwischen als unabdingbar zur Erreichung der Pariser Klimaziele erachtet. Das neuartige Konzept einer kombinierten Biowasserstoffproduktion und langfristigen Kohlendioxidspeicherung wird HyBECCS (Hydrogen Bioenergy with Carbon Capture and Storage) genannt. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen des Zentrums für Biointelligente Produktion am Fraunhofer IPA haben dieses HyBECCS-Konzept entwickelt. In zahlreichen Forschungsprojekten werden verschiedene Ansätze – wie die Dunkel-Photosynthese – untersucht und nach technischen, ökologischen und ökonomischen Gesichtspunkten optimiert.

Biointelligenz für Zuhause?

Die Dunkel-Photosynthese bringt Wasserstoff und weitere hochwertige Produkte hervor. Ein möglicher Einsatz von Dunkel-Photosynthese-Anlagen ist die Energieversorgung von Privathaushalten: Die Forschenden der Universität Stuttgart haben berechnet, dass ein durchschnittlicher deutscher Vierpersonenhaushalt zur Deckung seines Energiebedarfs durch Biowasserstoff mittels Dunkel-Photosynthese einen Bioreaktor mit einem Fassungsvermögen von nur 310 Litern Kulturmedium brauchen würden. Dies entspricht etwa dem Fassungsvermögen von zwei Badewannen. Doch R. rubrum kann auch eine Vielzahl hochwertiger Produkte, etwa für die Pharmaindustrie, herstellen. Die Ausstattung eines Dunkel-Photosynthese-Reaktors mit Sensorik, Analytik und intelligenten Regelungstechnik würde eine Interaktion der Mikroorganismen mit dem technischen Bioreaktorsystem ermöglichen – und die Dunkel-Photosynthese somit auf die dritte Stufe der biologischen Transformation heben: Eine biointelligente Wertschöpfung wird möglich. Unterschiedliche Produkte könnten bedarfsgerecht hergestellt werden, etwa in Apotheken, Krankenhäusern oder Zuhause. Die Dunkel-Photosynthese kann somit als Lieferant grünen Wasserstoffs und negativer Emissionen einen erheblichen Beitrag zur Klimarettung leisten, und ist gleichzeitig ein interessanter Kandidat, die dezentrale Biologische Transformation voranzutreiben.

Wenn Sie mehr über die Dunkel-Photosynthese wissen wollen oder die Energieversorgung von Privathaushalten durch Biowasserstoff vorantreiben wollen, setzen Sie sich mit uns in Verbindung!

Fördergeber

Gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und betreut durch den Projektträger Jülich.
Förderkennzeichen: FKZ 03EI5407C

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