Bionik und Biologische Transformation – ein erfolgreiches Team

Die Natur, bzw. die diese beschreibende Wissenschaft, die Biologie, stellt Wissen zur Verfügung. Sie ist wie eine Bibliothek, und Bibliotheken bewirken gar nichts, wenn das darin gespeicherte Wissen nicht abgerufen und verwendet wird. Doch mit dem Wissen der Biologie kann man etwas bewirken. Wie das funktionieren kann, zeigt die Bionik.

Die Bionik (Biologie + Technik) analysiert, abstrahiert und transferiert Prinzipien aus der Biologie in die technische Sphäre. Dabei wirkt sie auch auf Organisations- und Managementebene, weshalb der weitreichendere Begriff Biomimetik verwendet werden sollte, worunter dann Bionik ein Spezialfall ist, nämlich die Anwendung auf Technik.

Bionik pusht Innovationen

Die Bionik ist universell anwendbar. Ihr Wissen wird abstrahiert und ist somit eine allgemeine Währung, die in fast jeglicher Anwendung in der Technik und auf die meisten Branchen anwendbar ist. Auch sind ihre Konzepte in die Informationstechnik eingegangen, ohne dass sie als Bionik explizit sichtbar sind, wie zum Beispiel Optimierungsalgorithmen, die dem Prozess der Evolution abgeschaut wurden, oder Neuronale Netze und Künstliche Intelligenz, abgeleitet aus den Neurowissenschaften. Im Folgenden einige Beispiele aus verschiedenen Branchen, die diese Universalität widerspiegeln:

  • Effektivere Raketenantriebe nach Vorbild der Bombardierkäfer, die in der Lage sind, ihren Feinden gezielt bis zu 100 Grad heißes 1,4-Benzochinon mit einem Knall entgegen zu spritzen. Dabei wird der Sprengstoff unmittelbar vor dem Hinausspritzen durch Mischen zweier sehr reaktiver Chemikalien (Hydrochinon und Wasserstoffperoxid) erzeugt.
  • Effiziente Faltungs- und Entfaltungsmechanismen der Sonnensegel für Satelliten nach Vorbild von Blattfaltungen.
  • Die Ultraschallortung der Fledermäuse oder Sonarortung von Fischen unter Wasser sind aus der Abstandssensorik von Fahrzeugen nicht mehr wegzudenken. Oder auch die Unterwasserkommunikation nach Vorbild der Delphine ermöglicht erst eine effektive Tsunami-Warnung. Dort kommt es darauf an, die Sensorwerte vom Meeresboden an Sender in Bojen auf dem Wasser verlustfrei und kabellos zu übermitteln, damit diese die Informationen via Satellit an Land weiter übermitteln können.
  • In der Medizintechnik können effektive und krafteffizientere chirurgische Instrumente nach dem Vorbild der Mechanismen von Mundwerkzeugen und Stacheln gebaut werden. Denn in der Medizin muss geschnitten, geklammert, gehalten, gespritzt, gebohrt und vieles mehr gemacht werden, genauso wie es die Tiere tun, um ihrer Beute habhaft zu werden, Nahrung aufzunehmen, sich zu verteidigen oder Eier geschützt zu platzieren.
  • Auch der Bausektor profitiert von der Bionik durch die Anwendung zahlreicher Prinzipien: Der klassische Stahlbetonbau, der die Hochhäuser als Symbole des Fortschritts ermöglicht, geht auf die Idee des Gärtners Joseph Monier zurück. Er folgte dem Aufbau von Säulenkakteen und kombinierte zugfeste Drahtgitterelemente mit druckfestem Zement. So konnte er die Vorteile beider Materialien in einem neuartigen Verfahren vereinen. Die Entwicklung in der modernen Architektur profitiert ebenfalls maßgeblich von den Vorbildern in der Natur wie zum Beispiel von leichten Flächentragwerken, wo die Form von Spinnennetzen Ideengeber war oder die Reduktion von Zement in Baustoffen durch Einbringen von Hohlkörpern analog des zellulären Aufbaus von Geweben und Knochen. Oder die Übertragung von Mechanismen wie dem Bestäubungsmechanismus der Paradiesblume, der Pate gestanden hat für einen völlig neuen Typ von Beschattungselementen von beliebig geformten Hausfassaden.
Knochenstanze

Energie- und materialoptimierte Entwicklungen

Der eine Hebel in der bionischen Übertragung, der zu nachhaltigeren Produkten und Prozessen führt, ist, Material und Energie zu sparen. Die Evolution hat in diesem Kontext einen sehr starken Selektionsdruck ausgeübt. Uns liegen also über Millionen von Jahren energie- und materialoptimierte Funktionen vor. Die Bionik hält viele Beispiele bereit, wo wir gegenüber menschlich optimierten Artefakten immer noch ein Optimierungspotenzial von 5 bis 40 Prozent haben. Hier einmal zwei Beispiele:

  • Nehmen wir den Bewuchsschutz von Schiffen (Antifouling) durch biomimetische Mechanismen. Damit sparen Schiffe bis zu 40 Prozent Treibstoff, was in der Summe mehrere Prozent der jährlichen globalen Erdölförderung einsparen würde. Und dieser Mechanismus ersetzt sogar die hochtoxischen zinnorganischen Anstriche, deren Anwendung beispielsweise den Bestand der Wellhornschnecken im Wattenmeer in der Nordsee ausgelöscht hat. Der Anstrich wurde zwar seit Kurzem verboten, ist aber immer noch auf 97 Prozent aller Schiffsrümpfe zu finden.
  • Die von den Wachstumsgesetzen von Bäumen und Knochen abgeleiteten Algorithmen sind in die Topologieoptimierung für CAD eingeflossen, die es ermöglichen, designte Bauteile bei gleicher Stabilität locker bis zu 30 Prozent, teilweise bis über 70 Prozent leichter zu gestalten. Das spart Material- und Energiekosten.

Bionik als Methode für Ressourceneffizienz

Der andere Hebel der Bionik ist, dass bei dem Vorgang einer bionischen Übertragung viel mehr Informationen über die biologischen Vorbilder bekannt sind als der bisher für ein Problem herausgelöste interessierende Mechanismus. Die Einbeziehung von Konsistenzstrategien der Natur wie solares Wirtschaften, Modularität, Multifunktionalität, Selbstorganisation, Kooperation, dynamische Adaptivität, Zirkularität im Produkt- oder Prozessentwicklungsvorgehen birgt ein enormes Ressourceneffizienzpotenzial. Die Bioniker können eine ganzheitliche Betrachtung des biologischen Vorbilds vornehmen und die Übertragung mehrerer Eigenschaften in ein Produkt oder einen Prozess gleichzeitig versuchen. So sollten zum Beispiel auch die materielle Grob- und Feinstruktur sowie sinnvolle Materialhaltbarkeit und Recyclingfähigkeit gleich mitberücksichtigt werden. Auch sollte versucht werden, diese im technischen Device mit umweltfreundlichen biogenen Materialien umzusetzen. Das kann die Nachhaltigkeit insgesamt steigern.

Stärken der Bionik

Die »DNA« der Bionik ist nachhaltig und trifft mit einigen ihrer Regeln, die beispielsweise Werner Nachtigall in den zehn Geboten des natürlichen Konstruierens formuliert hat, den Kern der Bioökonomie: Gebot zur begrenzten Haltbarkeit, der totalen Rezyklierbarkeit und der Vernetzung statt Linearität. Die Stärke der Bionik ist die Kompatibilität mit der Bioökonomie und Biotechnologie. Diese drei Schwestern können quasi in Co-Evolution gemeinsam größere Fortschritte erzielen als bisher im Alleingang, und sie können konzertant mit moderner Informationstechnik und der klassischen Technik die Biologische Transformation voranbringen.

Am Fraunhofer IPA und IGB bestehen ideale Voraussetzungen für die Entfaltung der Biologischen Transformation. Wir haben Abteilungen, die seit vielen Jahren in Bionik, Biotechnologie und Bioökonomie tätig sind. Dazu kommt unser Netzwerk zu den Partnerinstitutionen des Kompetenzzentrums Biointelligenz. Wenn Sie Interesse an transdisziplinärer Unterstützung für Ihre Produkt- und Prozessentwicklung haben, wenden Sie sich gerne an mich.

Ich würde mich freuen, wenn Sie am Donnerstag, den 29. Juli, 18 Uhr, meinen Vortrag »Was wir aus des Natur lernen können« besuchen – gerne vor Ort in dem neuen Gebäude der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart oder per Livestream in unserem digitalen Saal!

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