Herausforderung Windel-Recycling: Wie kann der Abbau der Zellulose in Verbundmaterialien gelingen?

Papier, Glas, Plastik, sogar Beton: Viele Materialien werden inzwischen recycelt. Bei Windeln hingegen funktioniert das bis heute praktisch nicht. Weltweit werden weniger als ein Prozent aller Windeln recycelt – und das bei einem Anteil von Windeln am Hausmüll von etwa zehn Prozent (in Pflegeeinrichtungen kann dieser Anteil bis auf 70 Prozent ansteigen). Die Herausforderung ist die Trennung der Zellulose in den Windeln von dem Superabsorber, der die Flüssigkeit aufnimmt. Mit meinem Team und zwei Projektpartnern haben wir ein Enzymcocktail gefunden, der genau das leisten kann – ein echter Meilenstein!

Warum ist das Windel-Recycling so schwierig?

Windeln sind ein sogenanntes Verbundmaterial. In ihrem Inneren befindet sich eine Mischung von Zellulose, die in diesem Fall Watte-artig und für ein möglichst angenehmes Tragegefühl notwendig ist, und dem sogenannten Superabsorber, der aus dem Natriumsalz der Polyacrylsäure besteht und ein Vielfaches des eigenen Gewichts an Flüssigkeit aufnehmen kann. Beide Materialien sind für sich genommen gut recyclebar. Im Falle von Windeln müssen sie aber zunächst entmischt werden. Das ist kompliziert – und leider nicht bei allen Herstellern möglich.

Extrem zähflüssige Masse

Wenn auf diese Mischung aus Zellulose und Superabsorber eine Flüssigkeit kommt, entsteht daraus eine gelförmige Masse. Eine gute Durchmischung und Behandlung der Masse mit Enzymen wird dadurch unmöglich. Durch Zugabe von Kalziumchlorid gibt der Superabsorber die gebundene Flüssigkeit wieder ab. Die geschredderte Windelmasse kann nun gut durchmischt werden.

Links die Windelmasse, die nach Zugabe von Flüssigkeit extrem zähflüssig ist. Rechts entmischt nach Zugabe von Kalziumchlorid; nachdem die Flüssigkeit abgegossen wurde, können die Enzyme (im kleinen Gläschen) die Zellulose abbauen. (Foto: NMI)

Zellulose-Abbau ist nicht neu – in Windeln aber schon

Unser nächster Schritt war die Suche nach Enzymen, die den Zellulose-Abbau übernehmen können. Bei dieser Suche waren uns vor allem zwei Kriterien wichtig: Aus einem riesigen Angebot an Enzymen mussten wir welche finden, die in dem sehr speziellen Umfeld einer Windel zuverlässig in der Lage sind, die Zellulose in lösliche Zuckermoleküle umzuwandeln. Zugleich durften diese Enzyme aber nicht zu teuer sein, damit die Technik eine realistische Chance hat, später auf dem Markt zu bestehen. Bei dieser Suche unterstützte uns die Firma Candidum.

0,7 Gramm Enzyme bauen 800 Gramm Zellulose ab

Ganze 0,7 Gramm der letztlich ausgewählten Enzyme gaben wir auf 5,8 Kilogramm Windelmaterial, das wir zuvor geschreddert und mit Wasser getränkt hatten – denn Windeln landen nun mal in gebrauchtem, also feuchtem Zustand im Müll. Diese Mischung haben wir zunächst mehrere Tage bei 50 Grad Celsius geschüttelt. In dieser Zeit bauten die Enzyme 800 Gramm Zellulose ab und produzierten daraus Zucker, der mit der wässrigen Phase entfernt wurde. Übrig blieben fünf Kilogramm des geschredderten Windelmaterials, das vorwiegend Superabsorber enthält.

Ein Meilenstein, dem weitere folgen müssen

Im nächsten Schritt wird die Firma ARCUS Greencycling in Technikumsmaßstab (d.h. im Umfang größer als ein Laborexperiment, aber kleiner als ein industrieller Produktionsprozess) testen, ob das Zellulose-arme Verbundmaterial sich deutlich besser chemisch recyclen lässt. Vereinfacht ausgedrückt geht es um die Frage, ob diese sogenannte Pyrolyse (das ist die Aufspaltung des Verbundmaterials in Rohöle) und somit die Rückführung der Rohstoffe in den Kreislauf besser gelingt. Für die Zucker-haltige Flüssigkeit sollen Wege geprüft werden, um diese zukünftig stofflich nutzen zu können. Der Wasserverbrauch muss ebenfalls noch optimiert werden. Denn erst dann wäre das Recycling wirklich erfolgreich und sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll. Um dorthin zu kommen, ist noch ein ganzes Stück Weg zu gehen. Nichtsdestotrotz ist unser erfolgreicher Einsatz der Enzyme ein wichtiger Fortschritt.

Über die Candidum GmbH

Über die ARCUS Greencycling Technologies GmbH

Förderkennzeichen BW1_5021/02. Das Projekt Encycling wurde gefördert von der Invest BW Innovationsförderung „Greentech“.

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